Montag, 10. April 2006

"Olli, you`re dismissed" - der unrühmliche Abgang eines Helden

Man kann von Oliver Kahn halten was man will: einen derartig unrühmlichen, gemeinen, hinterrücksen Abgang als Nummer Eins unserer Nationalmannschaft hat er nicht verdient. Was hat er nicht alles für den Deutschen Fussball getan? Das Championsleaugefinale 2001 hat er im Elfmeterschießen praktisch alleine gewonnen und damit den bisher letzten internationalen Fussballtitel nach Deutschland geholt. Die WM 2002 wäre ohne ihn zur Katastrophe geworden. Im Alleingang hat er die Mannschaft durch seine Glanztaten ins Finale geführt – dass er sich hier ausgerechnet zwei Aussetzer erlaubte, war Ironie des Schicksals.
Im Ausland ist er seither die Galionsfigur des Deutschen Fussballs, ein unantastbarer Held, den man verehrt und fürchtet. Hierzulande genießt er zwar weitenteils ein ähnliches Ansehen, doch dieses ist freilich nicht ganz makellos – was er sich durch seine häufigen Ausraster oder privaten Eskapaden auch selbst zuzuschreiben hat. Dennoch, so scheint mir, hat man die Naturgewalt Kahn nie ganz verstanden. Dieser Ehrgeiz, dieser unglaublichen Siegeswillen, dieses Selbstvertrauen, Tugenden, die in Deutschland nur noch wenige besitzen, hat auf einige wohl befremdlich gewirkt. Dadurch hat man ihn teils größer gemacht als er war, hat das immer nur das Beste, Übermenschliches verlangt. Titan hat man ihn genannt, King Kahn. Umso härter hagelte es folglich Kritik, wenn er mal nicht in Topform war. Und umso größer war der Aufschrei, als Jürgen Klinsmann bei seinem Amtsantritt als Teamchef der Nationalmannschaft im Sommer 2004, erklärte, dass Kahn nicht mehr die uneingeschränkte Nummer Eins sei. Nur noch eine Eins A, Lehmann die Eins B.
Seither hat Klinsmann systematisch die Demontage Kahns betrieben. Es war eine Schmierenkomödie sondergleichen, ein unehrliches gemeines Spiel. Bezeichnend entließ er zunächst den Torwarttrainer Sepp Maier, die bayrische Frohnatur, die sich um unseren Fussball ungleich mehr verdient gemacht hat, als dieser schwäbische Bäckerlehrling.
Unabhängig davon war der Zweikampf ums Tor nie wirklich ausgeglichen. Kahn stand immer mehr unter Druck als Lehmann. Schließlich steht Oliver Kahn hierzulande Woche für Woche im Rampenlicht, während Jens Lehmann für uns nur eine Randerscheinung ist, die irgendwo in England das Tor hütet. Außerdem ist das Leben als Herausforderer ungleich leichter – man selbst hat schließlich nichts zu verlieren.
Klinsmanns Entscheidung mag für einige überraschend gekommen sein, für mich stand sie bereits fest, als er im Sommer 2004 den Wettstreit ums deutsche Tor eingeleitet hat. Ich hätte nie gedacht, dass ich Lothar Matthäus einmal zustimmen würde, aber mit seiner Aussage, dass sei von Anfang an „Klüngelwirtschaft“ gewesen, hat er genau den Kern der Sache getroffen. Bierhoff, Löw, Köpke waren Klinsmanns Handlanger in diesem schmutzigen Spiel, die immer wieder öffentlich Lehmanns Vorzüge betont haben. Bezeichnend die gute Bierhoffkritik nach den Spielen gegen Juventus Turin – aber mal ganz ehrlich – wäre ich an den beiden Abenden im Tor gestanden, ich hätte auch zu null gespielt. Die beiden Kahnpatzer im Spiel gegen Köln kamen Klinsmann gerade recht, auch wenn er seine Entscheidung erst im Mai bekannt geben wollte – schließlich könnte sich ja Lehmann bis dahin verletzen.
Der Zeitpunkt der Bekanntgabe war ebenso unglücklich wie die Entscheidung selbst: ausgerechnet einen Tag vor dem Spitzenspiel gegen Werder Bremen. Dass die Bayern hier unglücklich verloren haben (schließlich war es eines ihrer besten Saisonspiele), war allerdings nicht Kahns Schuld, der hervorragend hielt und einmal mehr seine Größe als Sportsmann demonstriert hat.
Die Frage, die sich nun für Kahn stellt ist freilich die, ob er als Nummer Zwei mit zur WM fährt oder nicht. Sollte er sich für ersteres entscheiden, könnte er Klinsmann eher eins auswischen, als wenn er zuhause bliebe. Schließlich war für Klinsmann die Figur Kahn immer zu groß, zu zentral, weshalb er ihn schon von Anfang an schwächte und ihm zunächst die Kapitänsbinde abnahm. Auch die Art, mit der Klinsmann seine Entscheidung, etwas unklar und verlegen, erklärte, passt genau ins Bild. Wenn Jens Lehmann es „aufgrund seiner Leistungen der letzten zwei Jahre absolut verdient im Tor der Nationalmannschaft zu stehen“, dann frage ich mich, warum Kahn dies nicht tut. Diese Frage hat Herr Klinsmann noch nicht beantwortet.
Insgesamt hat mich die Pressekonferenz am Freitag ohnehin an die MTV-Show „Dismissed“ erinnert, in der zwei Männer oder Frauen um die Gunst einer Frau/eines Mannes kämpfen und letzten Endes ein Date mit dieser/diesem gewinnen. Am Schluss hat der/die Umworbene seine/ihre Entscheidung zu begründen, wobei diese natürlich durch eigene Sympathien begünstigt wird. Ähnlich lief es auch am Freitag. Eigentlich hätte es gereicht, wenn Klinsmann gesagt hätte: „You`re dismissed“.
Aber egal, wie sich Kahn auch im Hinblick auf seine zukünftige Nationalmannschaftkarriere entscheiden wird – eines ist klar: Der König ist nicht tot.
Lang lebe der König!

Nachtrag:
Nun ist es raus! Kahn fährt das erste Mal seit Köpkes Rücktritt (wieder) als Nr. 2 zu einer WM (die zufällig im eigenen Land stattfindet). Überraschend hierbei ist mit welcher Fassung King Kahn über seine Degradierung spricht. "Wir können Weltmeister werden" sagt er optimistisch und das ist auch gut so.
Hoch lebe der König. Jetzt erst recht.

cms

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