Mittwoch, 5. April 2006

Die Freiheit führt das Volk oder die Revolution frisst ihre Kinder

Wenn ich an die französische Revolution denke, dann fällt mir zunächst Eugène Delacroix und sein berühmtes Gemälde ein, das noch heute ein derart beispielloses Zeitdokument für menschliches Aufbegehren und Zusammenhalt darstellt, dass es jeden Despoten, jeden Monarchen, ja jeden Staatsführer noch heute beim Anblick schaudern muss.
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Natürlich hat das Gemälde selbst mit der französischen Revolution, diesem Jahrtausendereignis, dass die Moderne geprägt hat wie kaum ein zweites geschichtsträchtiges Geschehen der neueren Historie, nur in übertragenem Sinne zu tun. Es stellt die Julirevolution von 1830 dar, in dem das Volk von Paris geschlossen gegen die Politik Karls des X. vorging, der mit seinem Reaktionismus die Zustände aus der Zeit vor1789 wiederherstellen wollte.
Heute hängt dieses Bild im Louvre, wacht von dort aus über die Geschicke des einfachen Volkes – so möchte man fasst meinen – mahnend, drohend, mit einem Fingerzeig auf die regierenden Politiker. Wie sie da im Schießpulverqualm steht, diese barbusige Frau, mit der Trikolore in der Hand, ihren Blick dem Volk zugewandt – „folgt mir!“, scheint sie zu rufen – diese Mutter Courage, diese Mutter Liberté. Und neben ihr der kleine Junge, eines ihrer Kinder (?), mit zwei Pistolen, hinter ihr eine unendliche Masse der Empörung mit Schießprügeln, Messern - auf Leichenbergen, wo sie liegen, die stillen, toten Zeugen einer jeden Revolution, eines jeden Umsturzes, diese stummen Schreie, die im Getöse der Gewehrschüsse, der Freiheitsrufe, der Zeitgeschichte untergehen, ersticken. Man kommt nicht umhin zu glauben, dass sie das einzig zählbare Ergebnis der Revolution sind.
Und dennoch sind die Menschen in Frankreich stolz auf ihre Revolution, die in der Sache sicher richtig war, aber in der Durchführung alles andere als gut, gedenken alljährlich diesen Verbrechern, diesen Henkern, diesen Mördern. Frankreich ist seit dem 14. Juli 1789, als die Bastille unter dem bürgerlichen Hass erzitterte, zum Inbegriff für Revolution geworden. Der Tag selbst ein Mythos, der die Franzosen noch heute prägt, sie infiziert.
So auch in diesem Augenblick. Auf den Straßen Paris schmeißen zu dieser Stunde Studenten, Azubis, junge, desillusionierte Menschen Steine, Stühle, Straßenschilder. Bereits im Herbst hatte es in Frankreich gekracht, als die verstoßene Jugend der Banlieus aufmuckte. Wie sich die Bilder gleichen. Auch heute wabert der Qualm in den Pariser Straßen, wo man sonst so wunderbar flanieren kann. Er kommt von brennenden Autos, Reifen. Vermummte Massen stürmen gegen Schildwände der Polizei. Einer blutet, wird weggezerrt.
Man muss schockiert sein, angesichts dieser maßlosen Gewaltbereitschaft, dieser sinnlosen Zerstörungswut. Dass diese nun ausgerechnet von jungen „Bildungsbürgern“ ausgeht und auch noch von der politischen Opposition und den Gewerkschaften unterstützt und gut geheißen wird, ist skandalös. Der gute Ton politischer Kommunikation und Diskussion scheint unmöglich geworden. Premierminister Dominique de Villepin kann man schon jetzt ein Scheitern seiner Regierungspolitik konstatieren, denn dass es soweit kommen musste, daran hat er mit seiner Sturheit einen gewichtigen Anteil. Die Debatte um das Gesetz Ersteinstellungsvertrag ist für ihn zum Pulverfass geworden, er selbst nur noch Marginale des politischen Geschehens. Sarkozy und Chirac kommen im Pokerspiel der anstehenden Verhandlungen zweifelsohne entscheidendere Rollen zu.
Aber bis es zu einem Kompromiss kommt, wird es weitergehen - das Randalieren, das Steine-Schmeißen, das Anknüpfen an die Geschichte. Und eine wird zusehen und es gut heißen. Oben im Louvre. Dort kann man sie noch heute riechen, die Revolution, die Macht des Volkes. Das Schießpulver, den Schweiß, das Blut.

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weitere Bilder auf http://focus.msn.de/politik/ausland/reform-proteste_aid_20837.html?interface=galerie

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