"BEAT" TAKESHI KITANO
Es gibt kaum einen anderen Regisseur, mit dem ich diese Blogreihe lieber beginnen würde, als den japanischen Alleskünstler Takeshi Kitano. Es gibt kaum eine Kunstform an der er sich nicht versucht hätte – ob Malen, Poesie, Comedy, Schauspiel. Überall ist er erfolgreich und wird gefeiert. In Japan ist er eine Medienfigur, die man hierzulande höchstens in Thomas Gottschalk finden würde. Einzig die Kunstform, die er vermeintlich am Besten beherrscht, hat ihm (zumindest in seiner Heimat) den wenigsten Respekt gebracht – die Regie. In Europa wird er für seine Filme gefeiert (wenn auch fast ausschließlich von Kritikern), in den USA zumindest als guter Filmemacher anerkannt. Seine Filme selbst sehen dabei nicht viele Menschen; Zatoichi war sein bisher einziger wirklicher Erfolg.
Das mag an der Eigenwilligkeit seiner Filme liegen. Einer Eigenwilligkeit, einer Kunstfertigkeit, der man sich nur schwer entziehen kann. Seine Filme gehen nicht spurlos an einem vorrüber. Sie berühren, verstören, verwirren. Es sind die Geschichten, die er so unnachahmlich erzählen kann. Geschichten, meist von Yakuzas, über Ehre, Verlust, Tod, Liebe, Rache. Es sind Geschichten aus einem fremden Kulturkreis, mit fremden Sitten und einem eigentümlichen Humor, den man als Westeuropäer kaum verstehen wird.
Aber es ist vor allem die Art, wie diese Geschichten erzählt werden – mit einer Ästhetik, einem Sinn für das Menschliche und Unmenschliche in jedem von uns, die uns nur in Staunen versetzen kann. Die Machart erinnert dabei oft an Sergio Leone (meinem nächsten Favourite Director) – lange Passagen voll Stille und Schönheit, voll Anmut und Erhabenheit sind dabei durchzogen von Gewaltausbrüchen, sinnlosen Akten, oft lächerlich wirkenden Banalitäten – sie sind durchzogen vom Leben in all seinen Facetten. Die Protagonisten erscheinen dabei oft als gequälte Individuen, die von ihren inneren Dämonen getrieben werden. Geheimnisse bergen sie viele, sprechen tun sie wenig. Sie sind ein Enigma wie Takeshi Kitano selbst. Der provokante Komödiant, der vielleicht selbst einst Yakuza war, eine schwere Kindheit hatte und nur knapp einen Motorradunfall überlebte – einen vermeintlichen Selbstmordversuch.
Diese Zerissenheit bringt er bei jeder seiner Rollen auf die Leinwand. Dieses oft ungerührte Gesicht – die rechte Gesichtshälfte ist seit dem Motorradunfall gelähmt, manchmal durchfährt es ein fast beiläufiges Zucken, das von einem Nervenschaden herrührt – unterstreicht dabei die Tiefgründigkeit, die Verlorenheit seiner Charaktere.
Alles in allem ist er einer der besten Regisseure und Schauspieler der Neuzeit, ein großer Künstler, ein (leider noch immer zu wenig beachtetes) Genie.
Meine Top Five seiner Filme:
1. Hana Bi – Der Polizist Nishi (Takeshi Kitano) ist ein Polizist dessen Tochter ermordet wurde und der davor ist seine kranke Frau zu verlieren. Sein Kollege stirbt bei einem Hinterhalt, sein Partner landet im Rollstuhl. Nishi, der sich Geld von Yakuzas borgt, um für seine kranke Frau zu sorgen, ist innerlich ein gebrochener Mann, und begeht einen Bankraub, um seine Schulden zu begleichen. Zusammen mit seiner Frau macht er sich auf eine Reise, nach der nichts mehr so sein wird, wie es mal war... eine letzte Reise.
Für mich der beste Film der Neunziger Jahre überhaupt. Ein Drahtseilakt zwischen Poesie und Gewalt, Gefühlslosigkeit und Liebe, Schönheit und Krankheit, Leben und Tod. Ein Film, der einen nicht mehr loslässt, der verstört und berührt. Ein Meisterwerk.
2. Kikujiros Sommer – Der kleine Masao macht sich auf die Suche nach seiner Mutter in diesem Roadmovie der besonderen Art. Dabei wird er nur begleitet von seinem brummigen (und etwas dümmlichen) Onkel (Kitano), einem Ex-Yakuza, der, anstatt ihn zu seiner Mutter zu bringen, viel lieber Glückspiel treibt und die Hotelzeche prellt – bald haben die beiden eine ganze Menge Ärger am Hals...
Kitanos untypischster Film. Es gibt kaum Gewalt, es passiert sehr wenig und doch wird es einem nie langweilig. Man ist auf einmal selbst Kind. Man lacht, man weint, man ist beschwingt. Ein Film, bei dem ich mir jedesmal wünsche, dass er nie enden würde. Einer meiner Lieblingsfilme.
3. Sonatine – Der erfolgreiche, aber müde und überdrüssige Yakuza Murakawa (Kitano), wird beauftragt in einer Küstenstadt einen Streit zwischen zwei rivalisierenden Banden zu schlichten. Bald stellt sich der Auftrag jedoch als Falle heraus. Murakawa und seine Männern verstecken sich in einem Haus am Strand, bis er schließlich eine Entscheidung fasst...
Ein Film mit Janusgeschicht – ein Gangsterfilm in der brutalen Welt der Yakuza und ein Film, der eine trügerische Idylle vorführt – Yakuza beim Frisbeespielen und Albern am Strand zeigt. Ein ganz und gar ungewöhnlicher Gangsterfilm/Thriller. Brilliant.
4. Dolls – Ein Film über die Liebe in drei Akten, die allesamt von einem traditionellen japanischen Puppenspiel eingeleitet werden. Natürlicht sind dabei nicht die Puppenfiguren die „Dolls“, sondern vielmehr die Protagonisten der jeweiligen Erzählstränge, die allesamt auf unterschiedliche und doch gleiche Art der Macht der Liebe unterworfen sind. Ein Film voll Schönheit und Melancholie. Ein Film über Vergänglichkeit und die stärkste Macht der Welt. Wunderbar.
5. Zatoichi – Kitanos bislang erfolgreichster, wenngleich nicht überall angesehener Film – zu unrecht, wie ich finde. Es ist seine Adaption der erfolgreichen japanischen Samuarai-Fernsehserie gleichen Namens. Kitano spielt darin den blinden Samurai Zatoichi, der in ein Dorf kommt, das von zwei rivalisierenden Banden beherrscht wird. Er gibt sich als Masseur aus und verdient sich sein Geld mit Glückspiel, als plötzlich zwei Geishas in die Stadt kommen und an den Männern Rache nehmen wollen, die ihre Eltern umgebracht haben.
Ein Film voll überzeichneter Gewalt – darin Kill Bill (der seinerseits ein Tribut an die japanischen Fernsehserien und Samuraifilme ist) nicht unähnlich, aber mit mehr Humor und Tiefgang. Ein verkannter Geniestreich.
Ebenfalls zu empfehlen:
- Brother (Gangsterdrama. Ein Yakuza versucht in Amerika Fuß zu fassen. Kitanos wenig beachteter Auslandsversuch)
- A scene at the sea (Drama. Über einen tauben Mann, der eines Tages am Strand ein Surfbrett findet und fortan dem Meer verfallen ist)
- Kids return (Coming-of-Age Drama. Zwei Schulschwänzer werden erwachsen. Der eine wird erfolgreicher Boxer, der andere wählt den Weg eines Yakuza)
cms - Mittwoch, 03. Januar 2007