Dienstag, 11. April 2006

(Medien-)Wahnsinn Weltmeisterschaft

War das nicht ein kurioses Wochenende? Während im Osten die Elbe aus ihrem Flussbett stieg und im fernen Westen ein Kriegsfürst mit Kriegsministern (vielleicht) einen Kriegsplan gegen einen anderen Kriegsfürsten ausheckte, bestimmte hierzulande eine andere Meldung das Tagesgeschehen, tut es heute noch und wird es wohl noch geschlagene sechzig bis achzig Tage tun. Jürgen Klinsmann, Teamchef unserer hoffnungstragenden (?) Rasselbande, hat die Figur des gegenwärtigen deutschen Fußballs gestürzt: Oliver Kahn war nicht länger die Nummer Eins im deutschen Tor. Wie eine Bombe schlug die Meldung Freitagnachmittag ins Herz unserer Fussballrepublik. Selbst an Leuten, die sonst nichts mit Fußball zu tun haben wollen, ging sie nicht spurlos vorrüber. Auf den Titelseiten der Boulevardzeitungen überschlugen sich die Ks, selbst in der Tagesschau rückte die Meldung in den Mittelpunkt und wurde noch vor der Flutkatastrophe ausgestrahlt. Aber so ist sie, die Medienwelt `06. So weit hat uns unsere Fußballweltmeisterschaft gebracht.
Man möchte sie nicht mehr sehen, die unendlich langweiligen WM-Shows im öffentlich-rechtlichen, die unendlich dummen WM-Specials im privaten Fernsehen. Wenn Michael Ballack in dieser Sekunde Dünnpfiff bekommt, wird es spätestens zwei Stunden später die gesamte Bundesrepublik wissen – Medizinprofessoren werden dann interviewt werden und dazu Stellung abgeben - „Wird er rechtzeitig fit für Costa Rica?“, „Besteht die Möglichkeit mit Pampers aufzulaufen?“ – zu Jürgen Klinsmann wird eine Sonderliveschaltung gemacht werden. Tja, die Nachrichtenagenturen und Fernsehsender scheuen keine Mühen und Kosten – schließlich wohnt der ja in Kalifornien. Paradox, dass ausgerechnet ein Fussballtrainer unsere strahlenste Figur im Schwarzenegger-Staat geworden ist. Seine jetzt vermehrten Auftritte in Deutschland werden geradezu insziniert. Wie ein Hollywoodstar wird er verfolgt, jede Regung beobachtet, interpretiert. Noch nie hat ein einziges Ereignis soviel Medienaufmerksamkeit erhalten wie diese Fussballweltmeisterschaft.
Selbst unser Franz, unsere Lichtgestalt, unser Kaiser, unser WM-Botschafter, unser Vorzeige-Deutscher, ist um die Haare ganz weiß geworden - wahrscheinlich ausgebleicht durch das Blitzlichtgewitter, dem er ständig ausgesetzt ist. Selbst Stiftung Warentest, die sich sonst nur um elektrische Zahnbürsten, Staubsauger und Kosmetikprodukte scheren, fühlen sich auf einmal dazu berufen, die WM-Stadien, diese Superarenen, für WM-untauglich zu erklären. Konzerne, Firmen, Filialen, Dönerbuden – alles und jeder verwendet das anstehende Jahrhundertereignis als Werbemittel, bis selbst ein Ottonormalverbraucher ohne eigenes Verschulden zum Fussballmaskottchen geworden ist.
Und so wird dieses freudige Ereignis schon vor seinem Beginn, wenn die ganze Welt nach Deutschland blicken wird, so ausgelutscht sein, dass man gar keine Lust mehr darauf hat.
Aber wohin soll man sich zurückziehen? Schließlich kann man sich ja nicht monatelang einigeln und jegliches Sozialleben verweigern. So muss man wohl dem Schicksal ins Auge sehen und den ganzen Rummel schweigend und geduldig über sich ergehen lassen. Spätestens nach dem Achtelfinale, wenn entweder die Schweden oder die Engländer unserer Krabbelgruppe die Grenzen aufgezeigt haben werden, wird in diesem Land vermutlich langsam der Ausnahmezustand vorrüber gehen und Deutschland wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden.
Nur einer wird dann noch abheben. Im Flieger. One-way Ticket Richtung Kalifornien.

cms

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